Die Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) beginnt 2019 ein dreijähriges interdisziplinäres Forschungsprojekt zur Untersuchung der Fertigungshalle 1 (F1) auf dem Areal der ehemaligen NS-Heeresversuchsanstalt Peenemünde (HVP). Das durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt wird in Kooperation mit dem Historisch-Technischen Museum Peenemünde durchgeführt.
Weiterer Partner ist der Lehrstuhl für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit Bamberg (AMANZ). Inhaltlich ist das Projekt an den Lehrstuhl für Baugeschichte an der Fakultät für Architektur, Bauingenieurwesen und Stadtplanung angeschlossen. Die Projektleitung für die BTU übernehmen Dr. Ing. Peter I. Schneider und Dr. phil. Constanze Röhl.
Ein maßgebliches Charakteristikum der NS-Zeit ist die Verknüpfung von rapidem technologischem Fortschritt bei einem gleichzeitigen gesellschaftlichen Rückschritt durch die Missachtung humanistischer Werte. Diese Entwicklung hat sich nachhaltig auf die deutsche Geschichte ausgewirkt, und darf auch zum aktuellen Zeitpunkt keinesfalls als in ihrer Aufarbeitung abgeschlossen betrachtet werden.
Diese Aufarbeitung ist über die oftmals nicht ausreichende archivalische Quellenlage hinaus zunehmend ein Anliegen von Bauforschung, Archäologie und Denkmalpflege und betrifft ebenfalls die baulichen Relikte der F1.
Die F1 ist eine Fabrikhalle, die in Peenemünde in den Jahren zwischen 1939 und 1943 als Teil der ehemaligen Versuchsstelle des Heeres Peenemünde errichtet wurde. Für die Heeresversuchsanstalt entstand ab 1936 auf einem 2.500 ha großen Areal an der Nordspitze von Usedom ein großangelegtes Forschungszentrum mit zahlreichen Bauten und Einrichtungen, deren Zweck es war, die Raketentechnologie voranzutreiben und entsprechende Waffen in Serie zu fertigen. In diesem Kontext sollte die F1 der ersten Massenfertigung des Aggregats 4, einer Großrakete mit Flüssigkeitstriebwerk, von der NS-Propaganda auch als „Vergeltungswaffe 2/V2“ bezeichnet, dienen.
Als Industriebau zeugt die F1 vom Forschungs- und Technikverständnis des NS-Regimes, während gleichzeitig die Rücksichtslosigkeit in der Wahl zur Erreichung seiner gesellschaftlichen Ziele durch die Integrierung des KZ-Arbeitslagers Karlshagen II in den Bau selber erkennbar und vermittelbar wird.
Durch Kontaminationslagen aus unterschiedlichen Quellen, Kampfmittelbelastung und die Bedingungen der Arbeit in einer Stahlbetonruine bietet die F1 besondere Herausforderungen der Vorgehensweise, welche durch ein Netzwerk an Experten begleitet werden. Daran beteiligt sind auch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU), Eignerin des Areals, und der Munitionsbergungsdienst Mecklenburg- Vorpommern.
Ziel des Projektes ist daher neben der Aufarbeitung des Ortes und der kritischen Vermittlung damit einhergehender gesellschaftlicher Aspekte ebenfalls das Erstellen eines Methodenkatalogs zum praktischen Umgang mit kontaminierten Kulturerbestätten.
Die erste Kampagne der Feldforschungen fand im Frühjahr 2019 statt.
“Wer sich scheut, sich mit Peenemünde zu beschäftigen […] der überlässt das Feld denen die einseitig oder gar verantwortungslos damit umgehen, die althergebrachte Bilder reproduzieren. […]“, so Leo Schmidt, Inhaber des Lehrstuhls Denkmalpflege an der BTU Cottbus-Senftenberg.